Samstag, 13. Februar 2010

Seelenstille


Es ist so still im Raum, nur der Computer faucht leise.
Es ist auch draußen so still, kein Wind, der an Ferne erinnert. Auch kein Regen, der die Nähe einspinnt. Jetzt wär’ mir eine Äolsharfe recht, obwohl ich gar nicht so genau weiß, wie sie klingt. Vermutlich zu dünn, zu glaskratzig. Besser eine Amsel, nach dem Regen. Nein, ein dunklerer Ton: eine Schiffssirene, dieses füllige, heisere, wolkige Brummen eines großen Dampfers, das wär’s. Aber ich bin ja an der Spree, nicht am Missisippi.
Dass man den Fluss unten nicht hören kann, ist schade. Er schiebt sich lautlos wie Schlamm an mir vorüber. Nur wenn die Ausflugsdampfer vorbeifahren oder gar wenden, dann plätschern die Wellen eine kurze Zeit ans Ufer. Aber das hat nichts von jener seltsamen Beruhigung eines Bachs oder gar eines Brunnens, vor einer Berghütte zum Beispiel. Ich erinnere mich.

Auch ich unterscheide zwischen tröstlichen Geräuschen und solchen, die quälen. Genau so zwischen einer beklemmenden Stille oder einer, die gut tut. Ich will aber nicht von einer Stille oder einem Geräusch vor meinem Fenster reden, auch nicht von der hier in meinem Zimmer, vielmehr von einer Stille in mir, die jetzt durch die äußere spürbarer wird. Ich rede von einer inneren Stille, die mir große Verzweiflung zufügt. In mir bleibt der Widerhall aus; ein dumpfes Verschlucken, Vernichten, Entwerten dessen, was von außen auf mich eindringt. Wie im „schalltoten“ Raum des Aufnahmestudios werden meine Wahrnehmungen weggesaugt. Nein, das ist noch zu aktiv. Sie kommen heran, enden aber echolos, sie verenden. Mein Ich ist ihr Grab.

Ob ich mich verständlich ausdrücke? Wohl nicht.
Wenn einer was sagt zu einem anderen, gar ihn fragt, und der antwortet nicht darauf, so nennt man das Entwertung, eine meist gezielt eingesetzte Kränkung. Wenn ich etwas wahrnehme und nichts in mir gibt Antwort darauf, dann habe ich das bange Gefühl, dass nicht dieses Andere entwertet wird, vielmehr ich. Dass ich ein nichts bin. Durch das die Welt spurenlos hindurchsickert.
Ich fühle mich zuweilen, nein: sehr oft, wie imprägniert. Wie an einem Regenmantel die Tropfen abperlen, nicht nach innen gelangen, so perlt an mir, gleichsam außen, alles ab, von dem ich doch meine, von dem ich wünsche, dass es in mir eine lebhafte Resonanz geben müsste. Einen Widerhall wenigstens.
Ich lese einen Text, ich betrete einen Raum, mir begegnet ein Mensch, ja, ich wende mich grübelnd mir selber zu- und es löst keinen Widerhall in mir aus. Dabei weiß ich, es müsste, aber ich bemerke deutlich, es kann meinen Panzer nicht durchdringen. Folglich kann das Erlebte nicht zum Besitz werden, sich nicht zur Erfahrung wandeln. Ich bleibe mit leeren Händen zurück.

Nun kann man derlei immer wieder wegdrücken, wie den Gedanken an den unvermeidlichen Tod, immerhin mit einiger Linderung, doch ohne Trost. Es ist wie bei heftigem Zahnschmerz: man kann ihn wehen lassen, ohne Widerstand, der ihn ja nur aufreizt, ihn ignorieren, aber am Ende bleibt er bestehen, macht sich, gleichsam wie bei der ersten falschen Bewegung auf dem Trapez, verhängnisvoll wieder bemerkbar. Ich empfinde mein Abweisen der Räume, der Texte, der Menschen, der Situationen nicht als meine Aktivität, wie man manches ablehnt, oder gering schätzt, oder polemisch zurückweist. Mir fehlt der Schlüssel zu all dem. Oder ich finde kein Schlüsselloch? Jedenfalls fühle ich mich ausgesperrt, schon abgeschrieben, zu Lebzeiten versteinert, tot. An eine Erlösung wie im Märchen glaube ich nicht.

Von daher mein kindliches Greifen nach der weiblichen Brust; Trost und Halt suchend und wenn ich sie mir auf’s Auge lege, bin ich in Sicherheit, gimmy shelter, keine Schwerelosigkeit mehr, die mich abtreibt.
Und immer horche ich angestrengt in mich hinein und bin überzeugt, da drinnen müsste es nun einen starken Widerhall geben, ein Aufbrechen des verkrusteten Panzers meiner Blasiertheit, meiner Begriffsstutzigkeit, meiner schlangenhautkalten Nicht-Einfühlung. Doch nichts passiert, nichts gerät in Schwingung. Es bleibt gespenstisch still in mir, ich leide am Schattenmangel eines Untoten. Ist es nicht wie der Albtraum, wo einem der Hilfeschrei im Hals stecken bleibt?

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