Mittwoch, 9. März 2011

22.
Nun bin ich im Paradies. Wie schön kann eine Landschaft sein! Dabei war der Weg hierher nicht nur beschwerlich; er war auch – soll ich sagen: verdrießlich? Es hat mich jedenfalls sehr genervt, dass dieses Tier dauernd vor mir herlief. Du weißt, ich mag Hunde nicht; krieg schnell eine Gänsehaut und einen Herzstich, wenn unvermutet ein Hund um eine Hausecke kommt. Und wechsle dann unauffällig die Straßenseite. Aber dieses Tier war grad durch seine Nichtschrecklichkeit so schrecklich. Ich glaube, es war Chonlins Idee, mir diesen Hund als Führer mitzugeben. Tatsächlich hätte ich den Weg hierher niemals selber gefunden, auch nicht mit den besten Karten oder Wegbeschreibungen. Ein ewiges Zickzack; die schlechten Wege, nein eher: der Mangel an Wegen nötigte dazu. Es ging mal rauf, dann wieder steil hinab. Durch Dickicht, über Bäche, nein durch Bäche, Brücken gab es nicht. Das Lästige, nein: das Unheimliche war, dass dieser Hund immer ein paar Schritte vor mir herlief, an Wegkreuzungen sich nach mir umblickte, grenzenlos geduldig. Und dass er offenbar keine Zweifel hatte, den richtigen Weg zu führen. Kein Zögern, kein Umkehren,- immer geradeaus vor mir her. Nie zu schnell, nie zu langsam.
Wir haben den Weg nicht an einem Tag geschafft und ich sag die Wahrheit: am Abend des ersten Tags blieb er stehen, schaute mich durchdringend an und legte sich dann einfach hin. Was blieb mir anderes übrig, als das gleiche zu tun. Immerhin fühlte ich mich in dieser Nacht sicher. Am Morgen aber, als ich erwachte, war er schon vor mir wach; er schien auf mich gewartete zu haben. Sobald ich mich regte, sprang er auf und zog wieder vor mir her, immer ein paar Meter voraus. Ich sollte ihm, sobald wir angekommen waren, ein sorgfältig verpacktes Futter geben; Chonlin hatte mir eingeschärft, ihm das ja nicht früher zu zeigen oder gar zu geben. Als wir am Nachmittag des zweiten Tags aus dem Wald auf eine Lichtung traten, auf der einige Häuser zu sehen waren, rings um einen See – so hatte mir Chonlin das Ziel beschrieben, wickelte ich dieses Superfutter aus und gab es dem Hund. Eine Art Wurst. Der machte sich sofort gierig darüber her und als er alles gefressen hatte, lief er zurück in den Wald, ohne sich noch einmal umzusehen. Schon recht seltsam, findest du nicht auch?
Ich ging die blumenübersäte Wiese, ein sanfter Abhang, hinab zum See und betrat das größte Haus. Es war bunt gemalt, wie Chonlin es mir beschrieben hatte. Da ich keine Klingel fand klopfte ich, als beim wiederholten Klopfen niemand öffnete ging ich hinein. Die Tür war nicht verschlossen. Drinnen war es sehr hell, aber die Räume hatten praktisch keine Möbel. Und trotzdem sah es nicht verlassen aus. In der Mitte der Eingangshalle, auf einem großen Holztisch (das einzige Möbel in dem Raum mit großen Fenstern) lag ein Briefumschlag mit meinem Namen. falsch geschrieben, also der Vorname mit k statt mit c aber offenbar für mich bestimmt. Eine Wegbeschreibung zu „meinem“ Haus, gezeichnet und auf deutsch (!) das Wort „Willkommen“.
Ich will dich nicht auf die Folter spannen: die Wegbeschreibung war tadellos, ich fand das Haus ohne Probleme. Klein, hell, wunderschön. Mehrere Zimmerchen. Unverschlossen, als gäbe es hier überhaupt keine Schlösser. Und wieder lag ein Brief für mich da. Ich machte eine kleine Runde durch das Haus. Als ich im ersten Stock auf die Terrasse hinaustrat, wusste ich, ich war im Paradies.
Sehr bewegt und glücklich: Jacob

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