36.
Du
weißt, ich trinke nachmittags keinen Wein; du hast dich oft genug über mich
mokiert, dass ich erst nach acht Uhr das erste Glas fülle. Was ich dir hier
beschreibe, ist mir so gegen vier Uhr widerfahren. Ich las Zeitung und hatte nicht gemerkt, dass am Tisch nicht
weit von meinem eine junge Frau im Cafè Platz genommen hatte. Wohl schon vor einer Zeit, denn als ich
sie bemerke, hat sie ihren Kaffee schon halb leer getrunken. Sie sitzt da, über
ihr Notizbuch gebeugt, dass die herabquellen Haare ihr Gesicht verbergen. Sie
schreibt. Mit einem Füllfederhalter. Als sie sich aufrichtet, um einen Schluck
aus ihrer Kaffeetasse zu nehmen, wischt mein Blick durch sie hindurch. Als
würde ihr Körper einen Augenblick wie im Nebel fernrücken, dünn werden, nein, leer
werden. Wie ein Baum im Nebel kraftlos wird, entschwindet, sich mühsam wieder
sammelt, wenn man ihm näherkommt.
Ich
blicke mich um, niemand zeigt Verwunderung oder vermehrte Aufmerksamkeit,
niemand blickt zu ihr hin.
Ich
suche nach Erklärungen: Lichtschwankungen? Schatten? Meine Müdigkeit? Draußen
ist gleichmäßiges Regengrau, hier drinnen das weiche Goldgelb der zahlreichen
gedimmten Lampen. Und ich sehe ihren Tisch, ihre Tasse, ja sogar ihr Tagebuch
klar und scharf und deutlich. Fast bilde ich mir ein, das Kratzen ihres Füllers
zu hören. Und jetzt beginnt sie wieder zu verblassen. Wie in einer langsamen
Überblendung verdämmert ihr Körper, taucht die Stuhllehne hinter ihr auf und
die Wand dahinter, die ihr Leib eben noch verdeckt hatte. Während ich noch hinstarre,
zerrinnt der Nebel und ihr Körper kehrt zurück. Ich finde, sie ist dick.
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