Dienstag, 5. Januar 2010

Wasserzeichen – Wasser zeichnen



Zu den Holzschnitten von Gisela Griem Juni 2009 in der Galerie Plus in Berlin

Grosse Frage: Wer hat die Malerei erfunden? Will man den alten Mythen trauen, gab es zwei Erfinder. Sie haben – wie zu erwarten – recht unterschiedliche Malereien erfunden.
Beim einen war der Auslöser der Fleck, irgendwo an einer Mauer. Er blickt auf ihn, stutzt und beginnt Zug um Zug immer mehr in diesem Fleck zu entdecken. Und ahmt das nach. Er schafft sich ein Bild von der unendlichen Vielfalt der Welt, aus sich selber heraus.
Der andere Erfinder, eine Frau, kommt zur Kunst aus Liebe, oder aus Trauer. Als ihr Schatz in den Krieg muss, nimmt sie eine Kerze und zeichnet seinen Schattenriss an die Schlafzimmerwand. Sie hält sich an die Realitäten, will sich daran erinnern.

Zwei unterschiedliche Konzepte von Kunst: einmal ist Motor die Phantasie, also die Ergänzung; hier kommt der Impuls von innen. Das andre Mal kommt der Impuls von außen; hier geht es um Gedächtnis. Diese Kunst setzt auf Genauigkeit und zugleich aufs Weglassen, - damit das Gesehene charakteristisch werde. Welche der beiden Kunstarten bei diesen Bildern hier an der Wand Pate gestanden haben, ist wohl kein Rätsel.

Aber langsam, wir wollen es uns nicht zu leicht machen. Sicher: diese Holzschnitte, dafür sorgt schon die Technik, mühen sich nicht um farbige Nuancen, auch nicht um realistische Details, nicht um Wiedererkennbarkeiten. Es gibt keine Portraits, keine Architekturen, keine Landschaften, keine Stillleben; es gibt überhaupts nichts Menschliches, noch von Menschen Gemachtes. Es geht um Elementares. Was man hier sieht, erinnert nachdrücklich an Wasser, an Wellen im Wasser, auch an Wasser am Himmel. Doch das ist noch ungenau: was man hier sieht, sind nicht Wellen im Wasser, sondern Bilder von Wellen im Wasser. Wir stehen vor Abstraktionen, die deutlich auf etwas Konkretes hinweisen. Am Ende geht es um Bewegung, also um Zeit. Menschlich gesprochen um Vergänglichkeit und Dauer.
Jeder von Ihnen kennt den seltsamen Bann: wir schauen in fließendes Wasser, in lodernde Flammen und können den Blick davon nicht mehr losreißen. Wir geraten in ein seltsames Dösen. Schaut man aber auf diese Holzschnitte, ist das nicht der Fall. Was ist geschehen? Ein Kunststück hat es vermocht, die Zeit anzuhalten. Diese Verwandlung von Bewegung in Kunst befreit uns vom Starren, befreit uns zum Betrachten. Nun können wir uns besinnen,- durch das Element des Wassers hindurch auf uns selbst. Die Bilder vom Fließen sind zum Spiegel geronnen: sie fordern uns auf, uns selber in sie einzuschreiben.

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