Sonntag, 3. April 2011

27.
Bin ich regensüchtig? Seit Tagen trommelt es auf das Haus, auf die Bäume, auf die Wege und ich bin glücklich darüber. Ich hab meinen Schlafplatz in den obersten Raum verlegt, gleich unterm Dach; da lass ich mich in den Schlaf klöpfeln. Aber noch schlimmer, ich trau mich fast nicht, es zu schreiben: ich schleich auch tagsüber immer wieder mal hoch, lege mich hin, schließe die Augen und lass mich berauschen. Es ist wirklich wie ein Glas Wein. Irgendetwas in mir löst sich auf, wird weicher, ungenauer und doch ist mir, als rücke ich mir selber näher. Anfangs hör ich noch auf einzelne Tropfen, besonders große etwa, die spitzer aufs Dach schlagen. Aber wie im Blick auf eine Menge, wo man bald nicht mehr Gesichter sieht, sondern Farben, Wellen, Formen, so wird mir das Regenrauschen Musik, nein: Klang. Liege ich tagsüber unterm Regen, tauchen die fernsten Erinnerungen auf, die Frauen meines Lebens schwimmen an mir vorbei ohne zu verweilen. Ich hatte mich mal in einem Kahn über einen See treibenlassen treiben lassen und dabei ins Wasser geschaut; so tauchen meine Erinnerungen auf und verschwimmen wieder.

Der Besuch bei den „Offenen“ hatte mich seltsam angegriffen. Vielleicht, weil so vieles, was mir bislang selbstverständlich war nun auf einmal nicht mehr selbstverständlich erschien. Manchmal, besonders halt auf Reisen, lernt man eine neue Art zu leben kennen. Nicht dass man sie sogleich einleuchtend findet, gar übernehmen möchte; aber die eigene, bislang so glatt funktionierende Lebensart wird einem nun seltsam. Man wird unsicher, beginnt zu grübeln, gar zu zweifeln. Das war auch der Grund, warum ich mich so lang nicht mehr gemeldet hatte. Ich habe bisher hier ja schon allerhand Erstaunliches erlebt und erfahren und kann gar nicht sagen, warum ausgerechnet der kurze Aufenthalt bei den „Offenen“ mich so nachdenklich gemacht hat. An sich ist dieses ihr Ideal, selbst das Intimste nicht vor den Anderen zu verbergen, ihnen nicht zu vorenthalten mir ganz zuwider. Ich neige ja immer mehr zum Eigenbrötler, komme wunderbar tagelang ohne jemanden aus, sitz gern allein im café mit meiner Zeitung, meinem Tagebuch, einem Buch. Wenn ich verreise, bilde ich mir ein, allein sehe ich mehr –
Was mir bei diesem Besuch so nahe ging, war die flutende Freundlichkeit eines jeden gegen jeden, gleichsam ohne die geringste Habsucht. Natürlich, ich geb’s gern zu, hat mir schon auch die schöne Romana einen Haken ins Herz geworfen,- wenn ich’s mal so poetisch sagen darf. Ich will mich aber auf jeden Fall noch mal mit dieser Gemeinde beschäftigen,- wenn der Regen vorbei ist. Nach drei Tagen und drei Nächte ist es ohnedies an der Zeit. Draußen wuchert mittlerweile ein fast krachendes Grün, die Luft ist so würzig und dick, dass man sie greifen kann. Aber die Kieswege rund um das Haus gleichen langsam einem raffinierten Bewässerungsssystem, punktiert wie eine riesige Gänsehaut von den Regennadeln. Und ich hab fast Angst, dass meine Versessenheit auf Regen schuld daran ist, dass die Sonne nicht mehr scheint. Nein, keine Angst, so weit ist es mit mir noch nicht; mich beherrschen noch keine Allmachtphantasien, aber wenn du mich fragst: meinetwegen kann es ruhig noch ein paar Tage weiterregnen.
Für heute also: regenglückliche Grüsse vom alten J.

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