Montag, 4. April 2011

28.
Lieber Gerhard,
du wirst bestimmt aus allen Wolken fallen, dass du plötzlich einen Brief von mir bekommst, nach Jahren des Schweigens. Und das aus der fernsten Ferne. Ich weiß selber nicht mehr, warum unsere Verbindung abgebrochen ist; eine Zeit lang sind wir doch Tag&Nacht zusammengesteckt und haben viel unternommen. Ich glaube, als du Hals über Kopf auf den Balkan gezogen bist; Yugoslawien? Rumänien? Oder Ungarn? Spielt keine Rolle, du bist dieser Frau hinterher gereist und hast nichts mehr von dir hören lassen, da ist unsere Beziehung dann eingeschlafen. Ich schreibe dir nach Berlin, an deine alte Adresse, weil ich vor meiner Reise durch Zufall gehört hatte, dass du dort hin zurückgekehrt bist.
O Gott, was für eine lange Vorrede. Ich schreibe dir heute, weil ich heute Nacht einen sehr seltsamen Traum hatte und du hast dich doch immer viel mit Träumen beschäftigt, oder?
Ich lebe seit einiger Zeit weit weg von Berlin, weit nicht nur in Kilometern ausgedrückt,- davon ein andermal. Also ich bin heute Nacht schweißgebadet und seltsam erschüttert aus einem Albtraum hochgefahren; ich glaub, ich hab geschrien wie am Spieß. Den Rest der Nacht lag ich dann wach, zitternd und nichts konnte mich beruhigen. (Hab’s mit Wein probiert, mit Musik, mit Lesen,- alles für die Katz).

Es ging um ein Hochzeitsritual. Keine Angst, ich hab nicht vor, zu heiraten, schon gar nicht hier. (Hast du eigentlich die Frau geheiratet, deretwegen du aus Berlin abgehauen warst?) Bleiben wir beim Thema. Im Traum sollte ich mit einer jungen, schönen Frau verheiratet werden, die ich tatsächlich vor kurzem kennengelernt habe und die mir wirklich sehr gut gefällt. Sie ist Mitglied einer seltsamen, na ja Sekte klingt zu abwertend, jedenfalls einer Gemeinschaft mit Ritualen, die von unseren ziemlich abweichen. Spielt jetzt aber auch keine Rolle. Ich sollte jedenfalls mit diesem Mädchen verheiratet werden und als Abschluss dieser Zeremonie sollten wir die Ehe vollziehen, also weniger geschwollen formuliert: wir sollten miteinander schlafen. Vor allen Leuten. (Das gehört zu den Verwunderlichkeiten dieser Leute, dass sie keinerlei Privatheit akzeptieren). Aber sonderbarerweise war es nicht diese Öffentlichkeit des Eheakts, was mich in die Panik eines Albtraums warf. Es war die Form. Beide wurden wir mit einem dicken Tierfell eingehüllt, das jeweils nur ein Loch hatte; eines für mich, eines für sie,- ich muss dir nicht sagen, wo. Das Fürchterliche war, vom Körper des Anderen war durch das dicke Fell absolut nichts mehr fühlbar. Immer verzweifelter versuchten wir beide unsere beiden Öffnungen im Fell aneinander zu bringen.
Ich muss die Beschreibung abbrechen, ich spüre, wie der Albtraum selbst in der Erinnerung wieder in mir hoch zu kriechen beginnt.
Kannst du mir sagen, was dieser Traum bedeutet? Falls du wieder in Berlin lebst, falls du meinen Brief erhältst, falls du mir antworten magst – o je, fast zu viele falls – also ich leg dir eine Adresse bei. Da lebe ich zur Zeit zwar nicht, aber ich schaue dort immer wieder mal vorbei, ob Briefe an mich eingetroffen sind.

Übrigens: Ich hoffe, dass es dir gut geht. Ich werde hier noch einige Zeit bleiben, ich mache ungeheure Erfahrungen, wenn es dich interessiert, berichte ich dir gern mehr davon.
Herzliche Grüsse, dein alter Freund J.

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