Montag, 4. Juni 2012
Nachtflugschreiber 3: Karussell
Soll
man’s bestaunen, - schreibt er -, beneiden oder mürrisch verbieten? In der U-bahn,
eine Mutter, zwei kleine Kinder. Alle drei stehen im Eingangsbereich, die Jungs
aber nutzen die Haltestange zum Kreisverkehr. Das machen Kinder gern, meist
werden sie nach der ersten Runde von ihren Müttern abgebremst; real am
ausgestreckten Arm oder mit giftigen Worten. Diese Mutter hält sich raus. Um so
rasender treiben’s die Beiden. Die Erwachsenen, die Alten vor allem, schauen
geduldig verdrossen weg. Das Kreischen der Beiden wird lauter. Es kommt, was zu
erwarten war: einer der Beiden tut sich weh, aber der Größere jagt ihn weiter
im Kreis. Da sagt die Mutter nur sachlich zu ihm: „Du musst ihm sagen, dass du
nicht mehr möchtest“. Doch der Taumel geht weiter. Eine alte Frau steigert das
Stirnrunzeln zum Kopfschütteln, was sie murmelt kann man nicht verstehen, aber
sich vorstellen. Wie schnell – schreibt er – hätte meine Mutter mir eine
geklatscht. Weil damals andere Zeiten waren und ich im Alter dieser zwei
Kleinen mit meiner Mutter in den Luftschutzkeller gehetzt bin? Ach nein –
schreibt er – das ist noch nicht der Kern: das Orgiastische ist es, was, je
nach Mentalität bei den gezwungenen Zuschauern, Neid, Peinlichkeit, Hass
auslöst. Die zwei stürmen voran, von der Fliehkraft der Kreisbewegung zugleich
gehalten und weitergeschleudert. Hemmungslos leben sie ihren Rausch aus,- wenn
nicht auch ein wenig eitle oder ärgernde Inszenierung für das Publikum ringsum
dabei ist. Ihr Schreien ist Lustschrei, ihr Taumeln ist Auflösung. Das „geht
nicht“, so hemmungslos, vor aller Augen.
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