Montag, 21. Februar 2011

6.

Eigentlich kann ich es mir – jetzt, im Nachhinein - nicht mehr erklären. Ich fühlte mich doch gut, wie noch mal davon gekommen, als ich aus dem Unterwassertunnel hinauskletterte in die warme leuchtende Sonne. Ich hatte dir im letzten Brief von diesem Gang in die, nein nur: durch die Unterwelt erzählt.
Als ich den Weg in den luftigen Schlosspark fortsetzte war da alles so heiter gepflegt, durchaus nicht aufdringlich oder herrschsüchtig über die Natur, wie man es in den Barockgärten erlebt. Links am Ende des Kieswegs mit seinem Blumen- und Pflanzenornamenten ein Schloss. Viel Weiß, viel Gold. Rechts von mir kleine, weiße Marmorfiguren, oder waren sie nur aus Stein? Sie standen auf einer ebenfalls steinernen Brüstung und ließen einen kleinen Durchgang frei. Dort konnte man über niedrige Stufen zum See hinuntersteigen. Enten, ein Schwanenpaar.
Ich ging aber geradeaus weiter in den hinter dem Park beginnenden echten Wald. Mir kam er jedenfalls von Schritt zu Schritt so vor. Weil er immer dichter wurde, auch dunkler. Weich federten meine Schritte auf dem dicken Laubteppich, es roch wunderbar „waldisch“ und als ich auf eine Lichtung mit großen, umgefallenen Bäumen kam, setzte ich mich auf einen umgefallenen Baum. Kein Mensch weit und breit, auch aus der Ferne drang kein menschliches Geräusch. Nur die Blätter rauschten, leise; es war fast windstill. Weit entfernt hörte ich Vögel. Ich weiß nicht, wie, - der Modergeruch vielleicht (eigentlich angenehm, irgendwie pilzig), die Stille, unten am Boden der dicke vermoderte Blätterteppich, oben schon wieder die ersten grünen Triebe; dieser ewige Kreislauf, vielleicht war’s das: mit einem Mal hatte ich das Gefühl, dass ich sterblich bin. Entschuldige, jetzt, da ich wieder im Warmen zuhause bin, das Glas Rotwein leuchtet und duftet neben dem Tagebuch, jetzt kommt mir das eher melodramatisch vor. Aber draußen im Wald, da war es nicht so sehr das Gefühl meines unvermeidlichen Tods, was mich herabdrückte, nein, mir wurde angesichts dieses Kreislaufs der Natur bewusst, dass ich ja fast unausgesetzt denke: Lohnt sich noch, daß ich das oder das beginne? Wenn’s mir den Tod nicht vorher aus den Händen schlägt, dann zertritt er es doch hinterher. Andrerseits: Warten auf den Tod, ist das nicht wie Zitronensäure in Milch gießen; natürlich gerinnt sie davon, natürlich wird sie sauer. Warten bohrt ein Loch in die Seele, lässt Kraft wegsickern. Es wird innerlich ungemütlich, wie wenn eine Tür offen bliebe. Der Raum verliert sein Schützendes. So schadet etwas, das noch nicht da ist, als wär’ es schon da. Ich bin ein Schiffsbrüchiger, der in sein Rettungsboot selber ein Leck pult. Das wurde mir mit einem Mal klar und zugleich wusste ich: ich kann nicht ablassen, voll Angst und Wut auf den Tod zu warten. Was für ein irrer Zirkel.

Weißt du, wie ich mich aus dieser Düsterkeit am eigenen Schopf herausgezogen habe? Ich bekam Hunger. Vermutlich der Pilzgeruch. Er erinnerte mich, dass sie in der Herberge eine unvergleichliche Pilzsuppe zubereiten; am Ankunftstag hatte man mich damit entzückt. Und je mehr ich an diese Pilzsuppe dachte, um so unabweisbarer erwachte mein Appetit und der lässt sich zum Glück nicht von der albernen Frage klein kriegen: Lohnt es sich noch??
Um es ohne Umschweife zu verkünden: Die Suppe war umwerfend; dazu das schwere Bauerbrot mit der himmlischen Kruste.. Mir wurde so warm und wohlig im Bauch und von da kroch dieses Glücksgefühl: ich lebe noch, ich genieße, rasch hoch zum Herzen und schaffte es sogar noch bis zum meinem armen Hirnchen. Uff, was für ein Tag.

Bei dir geht es, hoffe ich, weniger hochdramatisch zu. Mein Glas ist leer, ob ich mir noch eines gönne? Aber ja doch, man wird nicht alle Tage so überzeugend gerettet.
Lass es dir gut gehen und vergiss nicht, zu schreiben,
J.

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