Donnerstag, 24. Februar 2011

9.
Na, weit bin ich ja nicht gekommen bei meinem ersten Ausflug durch die Insel. Es ist aber auch wirklich zum kotzen, entschuldige, dass ich mich nicht verständigen kann. Aus der Wirtin ist überhaupt nichts Sinnvolles rauszukriegen. Sie grinst immer nur, quatscht irgendwas ohne zuzuhören und nickt bei jeder Frage von mir eifrig und freundlich mit dem Kopf. Wie drückt man durch Zeichensprache aus, dass man in die nächste Stadt will, um sich dort umzuschauen?? Irgendwann hab ich die Tür zugeknallt und bin wütend auf gut Glück einfach losgezogen. Diesmal in die andere Richtung, also weg vom Fluss. Aber da kam ich auch nicht weit. Schon bald stand ich vor einem Dickicht, kein Weg mehr, dicke Brombeerhecken, da war kein Durchkommen möglich. Ich lief eine Zeitlang quer zu diesen Hecken, aber dann hatte ich plötzlich das ungute Gefühl, dass der Boden unter mir anfing zu federn oder zu schwingen. Sumpfuntergrund, und da bekam ich es natürlich mit der Angst zu tun. Umkehren ging auch nicht so leicht; ich hatte mich natürlich schon lange verlaufen. Es war bewölkt, am Sonnenstand konnte ich mich auch nur mühsam orientieren. Ein blödes Gefühl. Als ich dann, leider nicht sehr nah, so etwas wie Rauch aufsteigen sah, kam ich mir schon fast vor wie gerettet. Durch die Sträucher – frag nicht, wie ich ausseh’ und erst recht nicht, wie Hose und Jacke – kämpfte ich mir einen Pfad in Richtung dieses Rauchs. Zum Glück hatte ich meine dicken Lederhandschuhe dabei. Tatsächlich sah ich nach einiger Zeit ein Hüttchen, aus dessen Kamin dieser Rauch aufstieg. Als es in Sichtweite kam, ich war schweißgebadet, zerkratzt und mein Atem pfiff keuchend durch die Anstrengung. Mir war unheimlich. Gleich, dachte ich, wird ein riesiges Hundsvieh auf dich zustürzen; der sieht hier doch nie jemandem, der wird mich bestimmt nicht mit Schwanzwedeln begrüßen. Entsprechend zaghaft rief ich: „Hallo“. Ist eigentlich ziemlich beknackt, aber was soll man in so einer Situation sonst rufen? Und tatsächlich kam bald drauf ein kleines, in meinen Augen uraltes Männlein aus dem Haus und schaute verwundert. Aber nicht unfreundlich, schon gar nicht feindselig oder sonst wie bedrohlich. Er kam mir sogar entgegen und half mir die letzten Schritte aus dem Gestrüpp heraus auf die Lichtung vor seinem Häuschen. Ich machte irgendwelche Begrüßungsgesten, er aber schaute mich nur groß an. Endlich schlug er mit seiner linken Hand an seine rechte Schulter. Wohl seine Art der Begrüßung. Und schon fing er an, zu babbeln, es klang wie bei Minjonn, nur rauer, kehliger. Vermutlich wollte er wissen, wer ich bin und woher ich käme und was ich bei ihm hier im Dickicht suche. Als er merkte, dass mit Sprechen bei mir nichts zu machen war, nahm er mich an der Hand und zog mich freundlich in seine Hütte hinein. Ich sah nicht viel, es war recht duster da drin, kein Licht als das bisschen, das durch das kleine Fensterchen drang. (Spinnwegenvorhang!) Er drückte mich auf einen Holzstuhl, vor einem Tisch. Besonders sauber war der nicht, das sah ich sogar in dem Halbdunkel. Und schon kam er mit einer Flasche und zwei Gläsern an (die waren auch schon lang mehr nicht gespült worden) und schenkte uns ein. Obwohl ich nur vorsichtig nippte, zuckte ich zurück: grauenhaft scharf und so hochprozentig, dass ich dachte, nein fühlte: jetzt schmilzt meine Zunge. Er lachte sie kaputt über meine Reaktion und deutete mir an, er machte es mir vor: das Glas müsse man mit Schwung auf einen Satz austrinken.
Ich hab’s überstanden, auch das zweite Glas; beim dritten war mir eh schon alles egal. Ich klopfte ihm auch auf die Schulter, wenn er das bei mir tat, die Stimmung war riesig: zwei besoffene Alte.-
Mit einem letzten Aufwallen meiner Vernunft, meines Widerstands steckte ich, um ihn am nochmaligen Nachschenken zu hindern, das Glas einfach in meine Hose. Da fiel er fast um vor Lachen. (Was der wohl von mir dachte?). Wir waren jetzt also Freunde. Er beugte sich vor, senkte die Stimme und erzählte mir irgend ein Riesengeheimnis. Zwischendurch wollte er immer wieder mal wissen, ob ich ihn auf verstünde (so kam es mir vor) und ich nickte eifrig und dachte dabei: ich hab lauter Kugeln im Kopf, die prallen bei jeder Bewegung von vorne nach hinten und fürchterlich scheppernd wieder zurück.
Nach dieser längeren Rede verschwand der gastfreundliche Alte im Nebenraum; ich hörte ihn rappeln und kramen. Mein Körper fühlte sich an wie flüssiges Blei, nur begann der Verstand langsam wieder zu arbeiten: nein, ich hatte nur einen einzigen Gedanken: wie komm ich bloß in die Herberge zurück?
Er tauchte endlich wieder auf, mit einem Beutel, nein, einem Tuch, übrigens ein wunderschöner alter Stoff. Legte das Bündel auf den Tisch; es klang hart, als hätte er laute Steine eingewickelt. Als er das Tuch zurückschlug, da lagen da wirklich ein halbes Dutzend Steine. Faustgroß die meisten, einige größer, einige kleiner. Rund, dunkel, wie frisch aus der Erde gebuddelt, moosig, alle ziemlich rund. Ich schloss aus seinen Worten, dass ich mir einen Stein aussuchen solle. Na sauber, dachte ich, auch noch einen Stein im Rucksack, ich hoff, er kennt einen besseren Weg zurück zum Hotel. Ich tippe von einem auf den anderen, um ihm zu zeigen, dass ich nicht wüsste, für wen ich mich entscheiden solle. Er packte meine Hand und drückte sie auf einen besonders schön runden. Er fühlte sich kalt an, aber irgendwie passte er gut in meine Hand. Er lobte meine Entscheidung, die nun wirklich nicht meine war und stand auf. Er kam mit einem eisernen Hammer zurück, richtig groß und einem Holzbrett. Er packte die restlichen Steine sorgsam zurück in das Tuch und legte das Bündel vorsichtig auf den Boden. Dann bot er mir den Hammer an, aber ich begriff natürlich nicht, was ich damit machen sollte. Da holte er selber aus und donnerte den Hammer mit Wucht und gut gezielt auf den Stein. Der brach entzwei und zu meinem Entsetzen hüpfte eine lebendige Kröte heraus aus. Das ist der Schnaps, sagte ich flüsternd. Er nickte eifrig und versuchte meinen Satz zu wiederholen. Das ekelige Tier kroch bis zum Tischrand, er schubste es zurück in die Mitte. Verdammt gute Trick, lallte ich mühsam und wieder versuchte der Alte, begeistert, meinen Satz nachzusprechen.
Den Rest will ich dir heute ersparen, ich kann ja gelegentlich mehr davon berichten,- wenn es dich interessiert, obwohl ich dir ehrlich sagen muss: wie ich zurückkam ins Haus und in mein Bett, weiß ich selber nicht. Das Schaurige war nur: als ich am nächsten Morgen mit einem kosmischen Brummschädel endlich erwachte ( es war schon taghell), da kroch diese Kröte, nein sagen wir vorsichtiger: da kroch eine Kröte auf dem Boden vor meinem Bett durch den Raum. Ein mieses verwarztes Monster en miniature.

Jetzt kommt erst mal ein paar Tage keine Nachricht von mir; ich glaub, ich muss erst ein paar Sachen auf die Reihe kriegen. Bis dahin: allerhand freundliche Grüsse.
J.

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