Dienstag, 22. Februar 2011

7.
Liebe H.,
ich hatte dir gestern erzählt von dem tröstlichen, rettenden Abendessen, der Suppe aus Pilzen, dem dick geschnittenen Ranft Bauernbrot. Noch etwas anderes trug dazu bei, meine Laune nachdrücklich zu heben. Nein, da tu ich mir unrecht, es war nicht bloß Laune, die mich runtergedrückt hatte. Ich hatte seit Tagen mit keinem Menschen ein Wort gewechselt. Nun, gestern Abend saß ich zum ersten mal nicht allein in dem Gastraum. Oder soll man ihn Kneipe nennen? Da war noch ein anderer Mensch, den ich vorher noch nie gesehen hatte. Außer meiner kleinen Minjonn, einer mürrischen Wirtin, die sicher älter wirkte als sie war, und einem eher hörbaren als sichtbaren, na ja, eine Art Hausknecht, hatte ich ohnehin hier seit meiner Ankunft noch niemanden zu Gesicht bekommen.
Als ich gestern am Abend aus dem Wald zurückkam und in die Gaststube trat, da saß da schon einer. Ein älterer Mann. Ganz in schwarz, um den Hals aber einen kleinen roten seidenen Schal. Er saß in der Ecke, schien auf das Essen zu warten. Auf der Nase kleine runde Lesebrille, vor sich ein Buch, in der Hand einen Bleistift. Er trug einen Bart, der heller war als sein wuschliges Haupthaar; das übrigens stand widerspenstig nach allen Seiten empor, fast wie gerupft. Er blickte hoch, lächelte mich an, klappte das Buch zu, winkte freundlich und fragte noch aus der Entfernung: „Wollen wir zusammen essen?“ „Ja gerne“, gab ich zur Antwort und setzte mich an seinen Tisch. Da fiel mir erst auf: er hatte mich auf deutsch angesprochen. Der erste Mensch hier, mit dem ich mit verständigen konnte. Fast aufgeregt sagte ich: „Sie sprechen ja deutsch?!“ Er lächelte nur und sagte: „Heut gibt es Pilzsuppe; so gut wie sie hier schmeckt, schmeckt sie sonst nirgends. Das wollen wir uns doch nicht entgehen lassen, was meinen Sie?“

Es wurde ein herrlicher Abend. Er erzählte viel vom Essen der Gegend, vom Wein, vom Wetter, aber wenig von sich, nein, eigentlich gar nichts, das fällt mir jetzt erst auf, und ich mochte ihn auch nicht ausfragen. Das Buch, das er gelesen hatte, als ich reinkam, hatte er umgedreht, ich konnte den Titel nicht lesen. Ich hoffte, er würde mal zur Toilette gehen, aber seine Blase hielt mehr aus als meine. Als ich zurückkam, war er verschwunden. Er hatte zuvor für uns beide bezahlt; an meinem Platz lag ein Zettelchen: „Wir sehen uns doch wieder?“. Da war ich dann doch richtig enttäuscht. Aber ich habe ein gutes Gefühl, er wird sich wieder melden. Minjonn räumte den Tisch ab, schnatterte wie üblich; da sie wiederholt auf den nun leeren Platz deutete, sprach sie wohl von diesem Mann. Sie konnte sich gar nicht beruhigen. Wie üblich verstand ich kein Wort.
Eigentlich wollte ich dir noch von einer weiteren Überraschung erzählen, aber der Spaziergang, das Essen, der Wein dazu, das angeregte Geplausche,- nimm’s mir nicht übel, aber jetzt muss ich ins Bett. Gute Nacht und bis morgen.
Jacob

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