Freitag, 11. Februar 2011

Mein lieber Tintenfisch

Ich habe mir einen Tintenfisch gezähmt; ich fürchte, er denkt dasselbe von mir. Obwohl es mir klar war: ein Tintenfisch, das ist kein Hundchen. Das Ausmaß der Schwierigkeiten hat mich trotzdem kalt erwischt. Und um ehrlich zu sein: noch ist nicht endgültig entschieden, wer der Herr ist und wer der Diener. Nüchtern, wie ich nun mal bin, erkannte ich rasch den Kern des Problems: ich brauche ihn, er mich aber nicht. So gut wie gar nicht, naja - jedenfalls kaum. Falls Sie dieses mein Schreiben überhaupt je erreicht: ich bin verschollen. Schifffahrt und Schiffbruch und einsame Insel. Und alles verloren, vor allem mein Schreibzeug, vor allem die Tinte. Manch ein Neunmalkluger, ich hör ihn schon feixen, wird mir gleich mit dem Ratschlag daherkommen: schreib doch mit Blut. Ich müsste nicht antworten, tu’s aber trotzdem: ringsum kreisen Haifische, hungriger als ich. Und ich fische mir Kleinzeug zur Nahrung mit den eigenen, unbewaffneten Händen. Capito?

Was ich besitze: mein Schiffsticket (Rückseite leer), ein verschliessbares Fläschchen (war Mundwasser drin, gegen liebesverhindernden Mundgeruch). Es gibt reichlich Kaktusstauden am Ufer: an einer nadligen Schreibfeder fehlt es mir nicht. Nur eben an Tinte. Ich will Sie jetzt nicht mit der Topografie meiner Insel belasten, zumal auch der Schreibplatz auf meinem „Briefpapier“ entsprechend begrenzt ist. Wenn Sie mich retten, werden Sie selber ja sehen, wie hübsch es im Grunde hier wäre.
Auf der Nachmittagssüdseite gibt es ein Buchtchen; wünschenswert weiss glänzt der Sandstrand, die Brandung ist mässig, das blaue Wasser ist rätsellos durchsichtig hinab bis zum Grund. So war es nicht schwer für mich, ihn zu entdecken. Behäbig und neuerungsscheu, er ist wohl schon älter, verwirft er den Ortswechsel, entfernt er sich wenig von seinem Stammplatz. Sei’s, dass er mich nicht ernst nimmt, oder ist er schon kurzsichtig? Er flieht nicht, wenn ich zu ihm hinwate.
Meine ersten Versuche, ihn gewogen zu stimmen, waren unsinnig; wer weiß schon auf Anhieb, was ein Tintenfisch frisst? Die mit blutigen Fingerkuppen von mir ausgebuddelten Würmer ließ er verächtlich an sich vorbeizappeln, meerwärts. Ich fasse mich kurz; auf dem Wege von Füttern kamen wir uns einfach nicht näher, er hat, was er braucht und mein Zubrot, definitly, das braucht er nicht. Vielleicht wollte er spielen? Ein bisschen einsam? Schwer zu sagen, was ein betagter Tintenfisch fühlt. Ohne Zweifel hat er Scharfsinn, vielleicht gar Sinn für Humor? Man sollte sich mehr dem Tintenfisch zuwenden als hysterischen Delphinen mit ihrem Stimmbruchgefiepe. Auch hier kürze ich ab: wir wurden ein Paar. Eingespielt aufeinander im Begehren und Necken, im Belohnen und machtseligem Hängenlassen, ja in purer Verweigerung. Er erkennt mich an meinen watenden Schritten (siehe die Andeutung oben zur Tintenfischintelligenz), kommt mir zutraulich entgegen als wüsste er selber, dass mich jeder Schritt weiter hinaus in die Reichweite der Haifische brächte. Unerklärlich bald hatte er erkannt, dass ich es auf seine Tinte (und auf sonst gar nichts) abgesehen hatte. Sorgsam bedacht ihn nicht zu verscheuchen nähere ich meine Hand mit dem offenen Fläschchen. Er umkreist sie, rammt sie, nein, sein Antupfen ist eher zärtlich. Schon schöpfe ich Hoffnung, da schnellt er herum, die Biester sind unglaublich wendig, und pumpt einen riesigen Tintenschwall in das Meer,- in die andere Richtung. Auch hier will ich abkürzen; ich hab noch kein Tröpfchen im Glas. Zuweilen, dieses Detail ist mir nun fast ein wenig zu peinlich, hin und wieder also, schmiegt er sich nasskalt und hautweich an meine Hand, die das Fläschchen so flehentlich hinhält. Und ergießt sich mit Inbrunst in meine Hand. Sie wird, auch nach meiner Rettung, bestimmt noch jahrelang den Braunton nicht loswerden.
Wie lang wird er sich noch verweigern? Will er meine Anhänglichkeit prüfen, gar steigern? Ich mag ihn, aber zuweilen, wenn ich, wieder erfolglos, am Strand sitze, die tintengegerbte Hand auf mein Knie lege, elegisch hinausblicke ins endlose Blau, ja, dann hasse ich ihn mit erschreckendem Feuer.

Heute hat er’s mir endlich geschenkt: im Fläschchen ist Tinte, ich schreibe damit: ich bitte um Rettung, womöglich schon bald.

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