Samstag, 5. März 2011

18.
Ich hab mich an meinen Gestank gewöhnt. Nein, das stimmt ja gar nicht: ich kann mich selbst nicht riechen,- nur dass das weniger geistreich ist als es klingt. Nach geistreich ist mir in meiner Situation schon gar nicht zu mute. Ich hab ein wenig geschlafen; mit Schaudern hab ich mich auf den Boden gelegt, tausend Ameisen oder schlimmeres erwartend. Ohne Dach überm Kopf, ja nicht ma eine Decke: da schien mir der Raum nach oben so grausam offen, wie aufgerissen; ein Loch nach oben. Aber ich war so erschöpft, dass ich einschlief, ehe das Grauen mich daran hindern konnte. Nun bin ich wieder wach, sehr früh vermutlich. Kein wildes Tier hat mich gefressen, auch kein kleines angenagt. Ich habe mir das Gesicht und die Hände mit dem eisigen Wasser eines Bachs gewaschen, ohne Seife, ohne Handtuch. Das klingt alles so wanderromantisch, ich aber fühle mich schrecklich beraubt. Bestraft für etwas, was ich nicht begangen habe. Jetzt kämpfen ein kleiner Wille zum Überleben, von der frischen Morgenluft gespeist, und eine ziehende Verzagtheit, von der Hoffnungslosigkeit meiner Situation genährt, in mir. Was soll ich machen? Wenn ich bedenke, wie lebendig ich noch vor 24 Stunden war, und jetzt ist meine Lebendigkeit eigentlich nur noch mechanisch: ich atme, ich schaue. Hunger habe ich auch. Schon im Schlaf hatte ich immer Stimmen gehört; nun wird mir klar, dass das kein Traum war: ich höre wirklich Rufe. Mein Name? Man sucht also schon nach mir, man ist mir auch schon nah. Noch bedrohlicher als diese näherkommenden Stimmen ist ihr Echo. Jeder Ruf, seltsame Schreie, schwellen als Echo an, zucken von allen Seiten durch die Luft und fallen als Pfeile auf mich herab. Jetzt bloss nicht der Versuchung der Schiffbrüchigen nachgeben; jetzt bloß nicht antworten. Aber sie werden mich auch so finden, sie sind noch kräftig und sie kennen sich hier oben aus. Als hätte ich ein Leck tropft, fließt der Mut aus mir heraus; ich spüre, wie mein Körper – oder ist das die Seele? – schlaffer wird, wie eine Matratze, aus der die Luft entweicht. Genug mit dem Gejammer; dadurch wird mir auch nicht wohler.
J.

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