Montag, 7. März 2011

20.
Sie haben mich eingefangen. Ich habe mich nicht widersetzt, als sie mich zurückbrachten. Zuerst war ich verwundert, als ich merkte, dass wir uns meiner Herberge näherten, nicht der Stadt. Ich hatte damit gerechnet, dass sie mich in’s Gefängnis brächten oder so was ähnliches. Meine Einfänger, oder soll ich das Grüppchen nennen, das mich in den Bergen überrascht hatte? Diese kleine Schar hatte mich seltsam fröhlich, ja fast erleichtert wie es mir vorkam, begrüßt. Sie gaben mir zu essen, hängten mir eine Decke um. Mit Erklärungen hielten sie sich seltsam zurück; später erfuhr ich, dass man ihnen eingeschärft hatte, nicht auf mich einzureden, weil ich sie ohnehin nicht verstanden hätte.
An der Herberge kam uns Minjonn entgegengelaufen, freudestrahlend fiel sie mir um den Hals. Hinter ihr, vor’m Eingang sah ich mit großer Erleichterung den freundlichen Alten stehen, von dem ich wusste, dass er deutsch sprach. Auch er kam mir nun entgegen, schüttelte mir fest und freundlich die Hand, klopfte mir auf die Schulter und sagte dann gutmütig brummelnd: „Junge, was hast du dir nur dabei gedacht? Einfach davon zu rennen.“
Mir kam alles so unwirklich vor. Meine Bewacher, nein, das waren sie offenbar gar nicht, also die Schar, die mich in den Bergen gefunden und herab geführt hatte, war seltsamerweise verschwunden. Nein, ich hörte ihr fröhliches Plaudern aus dem Gastraum, dazu das Klingen von Gläsern. Es ging bald hoch her. Ich verstand nichts. Johann hakte mich unter und zog mich auch in den Gastraum hinein, wo wir mit viel Lärm von den zechenden Polizisten – waren sie das? – begrüßt wurden. Sie prosteten mir alle zu und ich wusste nicht, wie ich schauen sollte.
Minjonn hatte einen Tisch für uns gedeckt und nun endlich erklärte mir Johanno die Lage. Als ich in Panik weggerannt war, fiel natürlich zuerst der Verdacht auf mich, deshalb die Verfolger, deshalb die Schüsse auf mich mit dieser heftigen Geruchsessenz. Tatsächlich das Mittel der hiesigen Polizei, flüchtige Täter zu stellen, sie wieder auffindbar zu machen. Nun fiel mir auch wieder auf, dass dieser ekelig intensive Geruch immer noch an mir haftete. Noch während ich im Bachbett zu entkommen hoffte, war der Alte schon wieder zu sich gekommen. Er hatte nur eine heftig blutende aber nicht weiter gefährliche Wunde am Kopf. Und er berichtete, was geschehen war. Räuber hatten ihn überfallen und als er sich zur Wehr setzte niedergeschlagen. Dann hatten sie seine Hütte durchwühlt; sie waren wegen der Steinkröten gekommen. Sie fanden das Versteck im Schuppen, nahmen alle Steine mit und legten das Feuer.
Das hatte der Alte den Polizisten erzählt. Als sie ihm von mir und meiner Flucht berichteten, nahm er mich sogleich in Schutz; ich sei sein Freund und würde ihm nie was tun und so weiter. Man beschloss mich zu suchen. Minjonn wurde verhört; sie leugnete, irgendwas von meinem Aufenthalt zu wissen, verplapperte sich dann aber wohl und man schickte einen Suchtruppen in das Gebirge und so weiter und so weiter.

Ich sitze nun wieder auf meinem Zimmer. Morgen hab ich einen Termin bei der Polizei, da will man mich „entstinken“; es gibt offenbar eine Spezialprozedur, diesen Geruch wieder zu neutralisieren. Heute stinke ich noch und es ist auch nicht besser geworden, seit ich alle Fenster aufgerissen habe und mich auf den Balkon gesetzt habe.
Natürlich bin ich ungeheuer erleichtert und dennoch verstört. Wie ein entgleister Zug stehe ich neben den Schienen und weiß nicht, wohin ich nun gehöre. Die wiedergeschenkten Behaglichkeiten der Zivilisation beruhigen mich zwar; neben mir steht das berühmte Tablett mit Essen und Trinken. Ich habe frische Kleider angezogen, die warme Dusche war wie ein Wunder, an das man nicht glauben mag, obwohl man es am eigenen Leib spürt. Ich bin allein; zum Glück, denn wenn jemand bei mir wäre, ich wüsste nicht, was ich mit ihm reden sollte. So richtig ist die Sprache, der Sprechwunsch noch nicht zu mir zurückgekehrt. Ich bin betäubt,- ja wovon eigentlich? Vielleicht sollte ich mehr Geduld mit mir haben. Ich werde dir wohl einige Tage lang nicht schreiben, nimm’s mir nicht übel. Ich melde mich, wenn ich wieder ein wenig klarer sehe,- oder deutlicher fühle.
J.

P.S: mach dir bloß keine Sorgen! Jetzt, da die Müdigkeit mich schaudernd wie eine Gänsehaut zu überziehen beginnt, wird der nachklingende Schrecken langsam unscharf, dämmrig und ich fürchte, ich hab dir alles zu melodramatisch geschildert. Ich geh lieber ins Bett.--

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