Sonntag, 6. März 2011

19.
H: Kennst du das auch? Manchmal ändert man sich, nein etwas an dir wird anders und das geht so langsam vor sich, dass man den Anfang nicht wahrnimmt, auch im nachhinein nicht mehr sagen könnte, wann und wie es begonnen hat.
Ich glaube, es war die Angst, dass mich jeder Laut verraten könnte; ich wusste, meine Verfolger hatten nicht aufgegeben. Sie schwiegen nun selber, um sich nicht zu verraten. Und ich eben auch. Ich hatte dir ja erzählt, dass das Echo jedes Wort, jeden Laut in einen schwirrenden Vogelschwarm verwandelte, dessen Kreischen und Gezeter bis zur Unerträglichkeit anschwoll, einen wie ein Spinnennetz einschnürte, bedrängte, bedrohte.
Aber nicht, dass ich um derlei zu vermeiden, nichts mehr rief, nichts mehr sagte, wollte ich dir erzählen. Erst war’s ein Vorsatz, dann begannen die Worte in mir zu versiegen. Ich weiß nicht, ob du dir das vorstellen kannst. Man hat ja manchmal einen Druck im Inneren, wenn man rülpsen muss; wenn ein Husten sich ankündet und man weiß, man kann ihn nicht mehr lange zurückhalten. Hinterher ist der Druck weg. Bei mir aber stellte sich etwas ein, das mehr war als ein Nicht-Druck; ich kann es nur so negativ formulieren. Bei einem Gespräch kennt man das doch: der andere sagt was und du spürst, wie auch bei dir sich etwas regt, wie es aufquillt, wie es drängender wird, wenn der andere dir keinen Raum lässt zum Antworten. Ich war allein, gut, und auf der Flucht. Aber es fühlte sich in mir an wie ein sinkender Wasserspiegel. Als würden sich die Worte, nein der Wunsch, Worte zu äußern, immer tiefer in mich zurückzuziehen. Ich atmete weiter, ruhig, mit Behagen; ich schluckte, spürte dabei meine Zunge im Mund. Aber nichts mehr in mir verlangte danach, zu reden. Mir fehlte es nicht mehr. Es war, als verheilte eine Wunde in mir, über die fortwährend Worte kratzend geglitten waren. Dabei fehlte es mir nicht an Worten, an Sprache. Ich dachte mir vieles, und spürte (?), es waren gute, genaue Formulierungen. Aber sie hatten ihren Sprachleib verloren, waren nicht mehr Luft, nicht mehr Klang, nicht mehr Schwingung in mir. Die Worte waren nun – ja: Geistig? Nein, das ist ein schales Wort. Ich kann es nicht benennen. Es war eine betörende Erfahrung. Befreiend. Sie hat natürlich nicht lange gedauert.
J.

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