Donnerstag, 24. März 2011

26.
Liebe gute H.: ich bin wieder daheim. Seltsam, wenn man zu einem Hotelzimmer so was sagt. Romana hat mir eine Zeichnung von sich geschenkt; sie hat sie selber gemacht und sie ist gelungen. Ich habe sie mit dem Gesicht nach unten auf meinen Tisch gelegt. Ich brauch jetzt erst mal ein paar Tage Ruhe. Dieser Ausflug zu diesen Leuten hat mich angegriffen, was bestimmt nicht deren Schuld ist. Jetzt schwanke ich: soll ich mich hier einigeln oder lieber eine zweite Reise antreten. Irgend etwas Beruhigendes mit Natur und Langeweile und Ruhe. Wenigstens Stille. Als ob ich das alles nicht auch hier hätte! Alles in mir brodelt; die Fenster sind mir zu groß (und zu durchsichtig), der Balkon überfüllt mit Himmel und Wolken, die Bücher zudringlich: hab jedes nach einigen Sätzen wieder zugeklappt. Wie diese kauzigen Gummibälle, die nicht mehr aufhören zu springen zuckt irgendwas in mir hinauf und hinab. Wenn ich schlafen könnte, aber es ist früher Nachmittag, da brauch ich mich gar nicht erst hin zu legen, wird doch nichts daraus. Für die „grüne Dämmerung“ des Weißweins ist es noch zu früh¬ – ich langweile dich mit meinem Gejaule.

Nun bin ich doch ein wenig eingenickt, auf dem Sofa, nein, es dämmert ja schon, da hab ich ja doch ein paar Stündchen geschlafen. Und fühle mich nun auch weniger mutlos, wenn auch noch nicht eben unternehmungslustig. Ruhiger, gelassener. Jetzt aber raus auf den Abendbalkon, mit dem herrlichen Weißen, er ist wunderbar kühl und würzig - und Kastanien; die schmecken hier besonders süß und aromatisch. Ich röste sie nicht, ich koch sie.
Wie gut die Luft draußen riecht. Es gibt hier in einem der Bäume einen Vogel, eine Nachtigall? Der singt, sobald die Sonne untergegangen ist. So vielfältig wie bei uns die Amseln (im Garten, im Regen...). Fast, als hätte er keine genetisch vorgeschriebene Melodie zu absolvieren, als würd’ er improvisieren; ein geborener Solist. Ob er für mich singt? Wär’ mir das überhaupt recht? Natur schert sich immer einen Dreck um uns und der Sonnenuntergang würde sich, könnte er fühlen, graulen vor unserem inneren Jaulen.
Heut darfst du mich so ernst nehmen, ich brabbl so vor mich hin, aber ich stell mir doch vor, wie du das liest, den Kopf schüttelst. Und dir deine Gedanken machst um mich. Musst du aber nicht; ich komm schon bald wieder auf die Beine. Und jetzt schwimmt sogar der Mond hinter den Bäumen hoch; ein bisschen rötlich und unheimlich groß. Und wirklich ganz rund, ohne die geringste Beule. Wenn ich ein Wolf wäre, müsste ich jetzt aber heulen,- ich hör lieber auf, sonst schickst du mir noch Beruhigungstabletten. Sei ganz lieb gegrüßt und mach dir bitte um mich keine Sorgen.
J.

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