Montag, 21. Dezember 2009

Hortensie


Wenn es schlimmer wird, nahm er sich vor, zieh ich mich nicht mehr aus. Es wurde schlimmer, rascher, als er gefürchtet hatte. Wenn es nur nicht über den Hals hinauf wächst, dachte er ängstlich. Immer öfter, auch tagsüber, entkleidete er sich, stellte sich nackt vor den großen Spiegel im Bad. In seinem Rücken hatte er einen kleineren Spiegel aus dem Korridor auf die Konsole gestellt. So konnte er sich, mit einigen Verrenkungen, auch von hinten betrachten.

Es hatte unter den Armen angefangen. Seine Behaarung war dort nicht besonders dicht, schon gar nicht kratzbürstig, Flaum konnte man es freilich auch nicht nennen. Normal eben, dachte er. Als sich seine Achselhaare eines Abends, vor zwei Tagen war es erst gewesen, buschiger, zugleich flaumiger als bisher anfühlten, hatte er sich nichts dabei gedacht. Er wusch sich jeden Morgen mit kaltem Wasser die Füße, das Geschlecht, das Gesicht und eben auch die Achselhöhlen. Ohne groß hinzuschauen, er hätte es auch im Dunklen machen können.

Erst als er in den Achselhöhlen an den waschenden Handflächen ein seltsames, übrigens angenehmes Gefühl spürte, hob er die Arme und starrte in den Spiegel. Der Flaum in seinen Achselhöhlen kam ihm bläulich vor. Irritiert holte er seine Brille und erschrak: Wo bislang seine dunklen Achselhaare gewachsen waren, wuchs nun, ja was denn? Es sah aus wie der Wuschelkopf einer Hortensie. Als er sich eine der kleinen bläulichen Blüten auszupfte, tat es weh wie bei einem richtigen Haar.
Und er wurde gewahr, dass auch sein Schamhaar sich zu verwandeln begonnen hatte. Es ließ sein Glied in der Blütenwolke klein und obszön erscheinen. Diesmal zupfte er sich kein Haar zur Probe aus.

Er ertappte sich, wie er bei den immer häufigeren Leibesvisitationen vor dem Spiegel mit zarter Hand die drei Blütenhügel liebkoste. Sie waren üppig und doch weich, prall und doch nachgiebig. Er tätschelte sie behutsam wie die zarten Brüste seiner Freundin.
Sie war zum Glück verreist und er wagte nicht an ihre Rückkunft zu denken. Sie bestand beim sex nicht nur auf völliger Nacktheit, es konnte ihr auch nicht hell genug im Schlafzimmer sein. Am liebsten schlief sie ohnehin mit ihm am hellen Nachmittag, wenn die Sonne grell durch die wallenden Vorhänge brach.

Und dann begann auch sein Kopfhaar sich zu verblumen. Er trug es sehr kurz. Durch die Verwandlung der Stoppel in sanftblaue Hortensienblüten sah es nicht länger aus als zuvor, aber wuscheliger. Und natürlich die Farbe war unübersehbar auffällig. Jetzt im Mai eine Mütze zu tragen, wie sollte er das erklären? Läuse? Allergie? Dann noch besser einen Verband, das sah nach Unfall aus.

Leider begannen nun auch seine üppigen, in der Mitte über der Nase zusammen gewachsenen Augenbrauen bläulich zu schimmern. Sie wurden blumenbauschig, ein schmales, sicheliges Hortensienfeld. Er erinnerte sich, dass seine Freundin sich zuweilen einige Augenbrauen mit einer Pinzette auszupfte, um die Architektur ihres Gesichts zu bereinigen. Er fand die Pinzette, versuchte es. Aber nicht nur der Schmerz ließ ihn das Werk gleich wieder abbrechen. Wo er eine Blüte ausrupfte, sprossen sogleich zwei neue nach, bildeten einen albernen Hubbel in der Linie seiner blühenden Brauen.

Unnötig zu sagen, dass in Kürze auch die schmale Linie von seinem Schamhaar aufwärts zum Nabel ein Blumenbeet wurde, und am Arsch, wie er mit Entsetzen sah, wucherten die Blumen bereits üppig. Dann kamen die Ohren dran, die Nasenlöcher und zuletzt, er hatte sich lange über diese Verzögerung gefreut, wenn auch verwundert, zuletzt blühte ihm sein Bart auf und ließ ihm nur noch drei tiefer liegende Blumenbeetlöcher übrig für Augen und Mund.

Eines Nachts, am nächsten Vormittag wollte seine Freundin zurückkommen, packte er die wenigen Habseligkeiten zusammen, die ihm unentbehrlich schienen, ließ sie am Ende aber doch stehen und schlich sich, ohne im Treppenhaus das Licht anzuschalten, aus dem Haus.
Hätte er noch in den Briefkasten geschaut, hätte er dort einen Brief seiner Freundin vorgefunden, worin sie ihm mitteilte, dass sie vorerst zu ihrer Mutter aufs Land gezogen sei, weil sich an ihrem Körper, den er so liebe, unaussprechliche Veränderungen eingestellt hätten.

Keine Kommentare: