Samstag, 19. Dezember 2009

krokodil

1
Ich habe nie ein ausgestopftes Krokodil besessen, ob das der Grund ist, dass ich mich oft unglücklich fühle? Freilich, wenn das Tier hart wäre und nicht wässrig glänzte, wäre mir damit auch nicht gedient. Vermutlich gewinnt man mit einem ausgestopften Krokodil keine Freundin, keine weiche mit großem Mund. Frauen haben was gegen Krokodile, aber ihretwegen kann ich mir doch nicht einen Koalabären zulegen.

2
Aus meinem Krokodil müssten unversiegliche Krokodilstränen quellen, die sammeln sich zu einem Rinnsal am Fußboden und fließen durch die Regenrinne neben dem Fenster hinaus in den Garten. Hortensien, kaltblau und rostrot wachsen dort in großen Büschen. Sie sind so groß, dass ich Zettel in ihre Zweige hineinhängen kann. Wenn der Herbstwind um das Haus faucht, schütteln die Blumen ihre Köpfe und die Zettel zappeln: Vorderseite, Rückseite, Vorderseite und wieder zurück. Ob warmherzige Frauen solche Botschaften lesen?

3
Mein Vater war Lokomotivführer, er wäre gern noch stolzer auf mich gewesen, aber dann hätte ich Beamter werden müssen und nicht Weltverbesserer. Er liebte die Berge und konnte nicht schwimmen, er hätte kein Verständnis für Krokodile gehabt. Als ich jung war, träumte ich nicht von Krokodilen, sondern von einem nachtschwarzen Panther, der mich immer auf meinen Zügen zur Rettung von Frauen begleitete. Wie viele Frauen habe ich in meinem Leben gerettet? Oder haben sie mich gerettet?

4
Wenn es nachmittagsdämmrig wird, möchte ich auf dem Teppich liegen und mich an der Hand einer warmherzigen Frau festhalten. Sobald sich draußen das Licht verbraucht hat, sollen die Augen meines Krokodils kerzengelb leuchten, jetzt möchte ich hinter der warmherzigen Frau sitzen, an ihren Rücken geschmiegt und ihre Brust festhalten. Wenn man dem Krokodil auf den Rücken klopft quellen aus seinem Maul Abenteuergeschichten, natürlich immer auch mit Liebe. Am besten in Blindenschrift geschrieben, zum Anfassen, denn ich möchte sie nicht vorlesen und die schöne warmherzige Frau hat natürlich auch keine Lust dazu.

5
Meine Mutter war eine schottische Prinzessin. In ihren Augen war viel Regen und der Wind blies die Wolken nur weg für neuen Regen. Mein Vater war ein italienischer Geschichtenerzähler, er beglaubigte seine Geschichten mit den Händen und versteckte seinen Mund hinter dem Rauch seiner dunkelbraunen Zigarren. Seine Geschichten waren meiner Mutter zu warm, ihre waren ihm zu verregnet. Meine Mutter mochte auch keine Krokodile, aber sie hätte mir Futter für meines geschickt.

6
Ich denke, wenn ich alt bin, reicht es, wenn ich mir eine Tapete mit Krokodilen an die Wand klebe, dann wird Platz am Boden. Die Augen meines Krokodils hatten schon einige Zeit mit mehr geleuchtet, der Staub der Bücher hatte sie blind gemacht. Bin ich unordentlich geworden oder geblieben? Auf dem Teppich sieht man noch die Umrisse des Tiers, ich werde Bücher darüber legen, einen kleinen Berg, mitten im Zimmer, damit lockt man kluge Frauen an. Ich weiß nicht, ob sie auch warmherzig sind.

7
Manchmal, wenn ich schlecht schlafe, träume ich, dass mein Krokodil sich einen ausgestopften Menschen am Tümpelrand hält, um den Krokodilinnen zu imponieren. Im Schlaf halte ich mir dann die Augen zu, damit ich nicht erkennen kann, ob ich das bin. Jetzt bin ich bald zu alt, um noch Beamter werden zu können.

(zuerst veröffentlicht in theo030 (2005)

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