Mittwoch, 23. Dezember 2009

Kassiber aus dem Paradies? Mutmaßungen zu Hubert Hubers Holzkunst


Wer möchte leben
Ohne den Trost der Bäume
Günter Eich

Dass sich einer Holzbildhauer nennt und dann so wenig auf sein Material einwirkt wie Hubert Huber, hat schon manchen Besucher seiner Ausstellung irritiert. Ist das schon Kunst?
Anders als seine Kollegen zeigt Huber wenig Neigung, sein Holz mit Meissel oder Hammer zu maltraitieren. Er mag es nicht verwunden, erlässt es in Frieden. In Ruhe lässt er es freilich nicht. Er bringt es, auf erstaunlich behutsame Weise, zum Sprechen.
Warum dieser schier asketische Respekt vorm Material? Weil der Baum Leben ist? (Für Huber und seine Familie gilt das wortwörtlich.) Ich vermute einen anderen Grund. Huber zwengt dem Holz keine Bedeutung auf: etwa die einer menschlichen Figur oder eines Tierkörpers; nicht einmal die eines abstrakten Reliefs: für ihn hat der Baum bereits einen Text, freilich einen geheimen, den will er mit seiner Kunst sichtbar machen.
Der Baumstamm ist für Hubert Huber ein Brief, drum öffnet er ihn. Und weil, was darin steht, in seinen Augen so wichtig ist, macht er davon immer wieder Abschriften. Er druckt ihn ab.
Wenn Huber seinen Baumstamm aufgeschnitten hat und wir die Struktur des Holzes vor Augen haben, seine Maserung, die Jahresringe, die Farbe der jeweiligen Holzsorten, was sehen wir dann? Diese Schrift des Holzes - das die erste Wahrnehmung - ist schön, ein Trost fürs Auge. Sie fesselt unsere Aufmerksamkeit durch ihre Vielfalt, macht uns neugierig, zuletzt aber gibt sie uns Rätsel auf. Denn sie ist wohl Textur, nicht aber Text, den man so einfach ablesen könnte. Und doch wird man das Gefühl nicht los, es müsse ein Sinn dahinter stecken.
Eine verborgene Botschaft? Und wie beim Betrachten einer unbekannten Schrift, einer arabischen z. B. oder chinesischen, freut man sich an der Schönheit der Zeichen und ist doch unzufrieden, dass man sie nicht entziffern kann. Huberts Holzkunst versucht sich als Lesehilfe für diese geheimen Botschaften der Bäume.
Eine Botschaft der Bäume? Tatsächlich gibt es in der abendländischen Philosophie seit Jahrhunderten den Topos vom Buch der Natur, Ausdruck der Hoffnung, dass man in der Natur wie in einem Buch lesen könne. Und was steht in diesem Buch? Dass alles, was es gibt, die Handschrift eines gütigen Schöpfers trage, dass alles also einen Sinn hat.
Recht schön, recht gut. Natürlich hat die Sache einen Haken: das Buch der Natur ist in Hieroglyphen abgefasst, in Geheimschrift. Uns bleibt die Wahl zwischen zwei Bücher: das eine - gemeint ist die Bibel - spricht unsere Sprache, doch was da drin steht, müssen wir glauben. Das andre sehen wir mit eigenen Augen, der Text aber bleibt für immer verschlüsselt. Wie schwer dem Künstler Hubert Huber die Wahl zwischen den beiden Büchern gefallen ist, weiß ich nicht. Dass er sich in seinem Werk entschieden hat: für Anschaulichkeit, nicht für Gewissheit, kann man sehen.
Nun ist Huber kein Sammler, der sich am Objekt trouvé der Surrealisten freuen würde. Dem verwunschenen Stein, dem bizarren Stückchen Holz, der Alraune läuft er nicht hinterher. Wohl findet er: seine Textur im Holz, doch er erfindet immer noch etwas hinzu. Neben dem Öffnen des Baumes - der Künstler als Anatom? - ist es seine vorsichtige Einfärbung des Holzes, die er als Lesehilfe einsetzt. Der Künstler als Detektiv, der mit seinem Pulver die Fingerabdrücke der Schöpfung sichtbar macht? Naturforscher in jedem Fall, das heißt einer, der in der Natur nach Beweismaterial fahndet für die Hoffnung, dass das schöne Muster kein Zufall ist, ohne weitere Bedeutung, sondern ein Brief: rausgeschmuggelt aus dem verloren gegangenen Garten Edens. Deshalb ist es natürlich kein Zufall, wenn Huber seinen witzigen Akt ausgerechnet einem Apfelbaum entnimmt.
Listig stellt er in seinen Ausstellungen Original und Abdruck nebeneinander, als Sehschule, auch als augenfälliger Hinweis darauf, dass Kunst und Realität sich unterscheiden. Doch auch das genügt ihm noch nicht. Er greift in sein Material ein mit einer Form, die durchaus unnatürlich ist: dem Dreieck. Ratio, Konstruktion, Menschenwerk ist das nötige Gegenwicht zur Natur in Hubers Werk. Dass für unsere Kultur hinter dem Dreieck immer das Symbol für die christliche Dreifaltigkeit, das Auge Gottes durchschimmert, ist nicht von der Hand zu weisen und für Hubert sicher wieder kein Zufall. Freilich inszeniert er das Dreieck genau so wenig bedeutungsschwanger wie alles andere: Predigen passt nicht zu seinem Naturell. Es dient ihm meist als Formel in seinen witzigen Akten. Das Dreieck auf der Spitze stehend vertritt glaubwürdig Brüste und Schamdreieck, ragt die Spitze nach oben, erkennt jeder problemlos das männliche Prinzip (um mich jugendfrei auszudrücken)
In meinen Augen sind in Hubert Hubers Holz- und Druckkunst zwei Fäden zu einem verflochten, der nun einen guten Halt gibt: Metaphysik und irdischer Humor. Ob das überhaupt möglich ist? Wer Augen hat, zu sehen, der sieht es. Und wer’s noch nicht sieht, der kann es von Huber lernen.

"Burg" Burghausen 1994

Bilder von Hubert Huber: http://www.huberthuber.de/

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