Donnerstag, 24. Dezember 2009

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Mir ist meine Frau entlaufen. Nein, so kann man wirklich nicht sagen. Das klingt, als wäre sie ein Hase. Verdammich, wie komme ich auf Hase? Weil ich sie in der Nachmittagsdämmerung der grünen Vorhänge immer von hinten - ich darf hier doch von Mann zu Mann? Jetzt noch mal: mir ist meine Frau weggelaufen, so muss es heißen. Obwohl auch das noch nicht stimmt, jedenfalls nicht durch und durch. Ich will nicht als Pedant dastehen, aber sie ist nun mal nicht gelaufen. Keine Spur von dramatisch, von wegen Türenschmeissen, Fingerstochern, Heulergüssen, Geschenke-zerreissen. Sie ist verdunstet; hat sich ausgeblendet; ist vergilbt wie eine schlecht fixierte Fotografie.

Wahrscheinlich war nicht nur ihr Gesicht, wenn ich mit ihr in der grünen Nachmittagsdämmerung Häschen spielte, eine Leibeslänge entfernt von meinem rammelnden Becken. Auch ihr Herz hatte bereits einen Vorsprung, den ich im Leben nie eingeholt hätte.

Also gar nicht entlaufen, eher: losgerissen. Das klingt zu sehr nach Ruck und nach Leine. Ist sie mir etwa entflutscht? Warum erinnere ich mich zuerst an die Ärmel ihres Pullovers? Auf schwarzem Grund eine goldene Mondsichel; mit Kulleraugen und wulstigen Lippen. Und vor diesem Mondgesicht zwei rote, drei silberne Sterne. Auch an ihre dickglasige Brille ohne Rand erinnere ich mich, die sie nicht ablegte, obwohl ich weiß, dass sie beim sex die Augen geschlossen hielt. Ihre langen, gelbbraunen Haare, künstlich gekräuselt, warf ich ihr über die Schultern hoch, damit ich den zarten Flaum auf ihrem hügeligen Hintern sehen konnte.

Ich zittere bei dem Gedanken, dass ich bei der Polizei, wenn ich die Vermisstenmeldung abgebe, mit einem Beamten ihr Phantomportrait am Computer entwickeln muss. Ihr Gesicht verwabert vor meinen Augen wie im Wasserspiegel. Nur die Brillengläser glotzen mich an. Blind und stumm.

Hätte ich ihr beim Hasensex mit der flachen Hand ein Brandzeichen auf die Arschbacken klatschen sollen, an dem ich sie zweifelsfrei wieder erkennen könnte? Identifizieren, reklamieren.

Meine Frau ist mir entgangen. Ich habe mich von ihr ernährt, statt ihr den Hunger nach mir einzupflanzen, das erkenne ich jetzt als meinen Fehler. Waren wir ein Leib, habe ich sie eingeatmet, sie hat mich ausgeatmet. Ich habe sie verzehrt, sie mich erbrochen.

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